Es ist Spätsommer im Ländle und der Winter nördlich des Alpenhauptkammes macht uns leider eine erste Aufwartung. Heuer sogar noch etwas früher als in den vergangenen Jahren zuvor. Schon seit Wochen versuche ich eine Reisegruppe für eines meiner Lieblingsreviere, das Tessin, zusammen zu bekommen. Ein scheinbar endloser Sommer und diverse Bike-Projekte im Hochgebirge lassen es allerdings nicht über bloße Planungen hinausgehen. Umso mehr freut es mich, dass ich Alex und Jürgen kurzfristig motivieren kann nun doch die Sachen zu packen um Regen und Schnee hinter uns zu lassen. Yeah, Xitrail goes sunny south!
Relativ früh starten wir am Samstag Richtung San Bernadino. Alex telefoniert unterwegs mit der Xitrail Chefetage in Feldkirch, die auch fürs Tessin Regen auf dem Radar sehen will. Ich vernehme leichten Zweifel in Alex‘s Gesichtsausdruck, als er vom Fahrersitz etwas fragend zu mir rüber blickt. Ich bleib cool und sag nur „don’t worry buddy“, setze trotz einsetzenden Regens demonstrativ meine Sonnenbrille auf, felsenfest davon überzeugt, dass sich der San Bernadino auch dieses Mal wieder als Wetterscheide beweisen wird. Und was soll ich sagen? Als wir das andere Ende des Bernadino-Tunnels erreichen vernehme ich die vermeintlich nebensächliche Frage „mit welchen Wetterdiensten arbeitest Du nochmals, Fred?“ Genüsslich rücke ich meine nagelneue POLICE Sonnenbrille zurecht.
Nur zweieinhalb Stunden nachdem wir in Rankweil gestartet sind schultern wir auch schon bei strahlendem Sonnenschein unsere Bikes auf typisch Tessiner Felsplatten dem ersten Gipfel entgegen. Oben angekommen eröffnet sich ein grandioser Blick über den Lago Maggiore und das angrenzende Maggiatal den wir natürlich ausgiebig und bei angemessener Brotzeit genießen müssen. Unser Blick schweift langsam von Ost nach West wo sich auch schon der Einstieg zu unserem ersten Trail deutlich erkennen lässt. Wenige Minuten später cruisen wir einen langen Grat entlang zum ersten Sinkflug des Tages. Leider bleibt uns wenig Zeit uns standesgemäß auf das neue Terrain einzustellen, denn schon der erste Abschnitt fordert den gesamten Körper samt Federweg mehr als heraus. Steile Stufen und verwinkelte Kehren lassen uns ad hoc das ganze Xitrail-Technik-Repertoire abrufen. Die besondere Herausforderung ist es heute allerdings eine kritische und zügige Grundgeschwindigkeit zu halten um sich sicher über alle möglichen Formen von Hindernissen hinwegsetzen zu können. Nur gut, dass wir uns nach den ersten 500 Tiefenmetern eine kleine Zwischenpause gönnen können um anschließend gemächlich den nächsten Gipfel in Angriff zu nehmen. Auf dem Weg dorthin bemerken wir eine unglaubliche Stille. Keine Wanderer, keine Biker, nix und niemand scheinen hier unterwegs zu sein. Ruhe pur.
Noch ehe sich der neu erklommene Gipfel in heranrückende Wolken kleiden kann legen wir fix unsere Schoner an um unseren Ride mit weiteren 1.200 Tiefenmetern bis runter an das Ufer des Lagos fortzusetzen. Dieses Mal jedoch in einem völlig anderen Modus. Wir machen die Bremsen auf und lassen das Hinterrad in den mit Laub gefüllten Rinnen mal nach links, mal nach rechts ausbrechen. Was für ein Spaß und was für ein Kontrast zum gerade eben noch groben Geläuf am Nachbargipfel. Kein Wunder, dass wir die eine oder andere Abzweigung wie im Rausch überfahren um wenig später im wahrsten Sinne des Wortes irgendwo im Wald zu stehen. Jürgen, der sich das ganze Spektakel aus sicherer Distanz anschaut, grinst das eine ums andere Mal sichtlich erfreut. Immer schön in der Spur bleiben Leute, so sein unausgesprochenes aber deutlich vernehmbares Fazit. Vierzig Minuten später (ich habe zwischenzeitlich eine Bodenprobe genommen) rollen wir euphorisch in unseren kleinen Zielort am Lago ein. Jetzt erst mal eine kleine Lagebesprechung bei kühlen Getränken und üppig belegten Panini. „Normalerweise ist an dieser Stelle ein ordentliches Tagesprogramm vollbracht“, so mein Resümee. Normalerweise. Wir schauen uns gegenseitig an und ohne etwas zu sagen ist in Sekundenschnelle klar dass da noch etwas gehen muss. Also checken wir den Fahrplan des Postautos und fahren kurzerhand zurück auf den Pass von dem wir erst vor ein paar Stunden gestartet waren. „Ich erinnere mich dumpf an einen weiteren Trail, den ich vor zwei Jahren schon mal unter die Stollen genommen habe“. Alex erwidert mir grinsend „den könnte man doch locker anhängen. Machen wir einfach aus 1.700 Tiefenmetern mal fixe 3.000.“ Gesagt getan. Als wir nach kurzem Aufstieg am Trail stehen und in den steil abfallenden Wanderweg schauen ist uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst, dass da abermals ein ordentliches Tageswerk vor uns liegt.
Eine Herde Ziegen schaut uns neugierig zu, als wir unsere Bikes erneut in Position bringen, Vorderrad Richtung Tal. Der steile Einstieg begrüßt uns zunächst mit ein paar engen Spitzkehren, die wir genüsslich parieren. Wir verlieren wenig Höhe und cruisen auf zum Teil etwas ausgesetzten Passagen am Hang entlang. Eine technische Spielerei hier eine Spielerei dort. Geilomat! Jürgen und Alex attestieren höchstes Xitrail-Niveau (eine größere Huldigung gibt es wohl für einen Trail nicht). Wir halten an um Pause an einer exponierten Stelle zu machen und einen weiteren unvergleichlichen Ausblick auf den unter uns liegenden Lago zu genießen. Fast scheint es als könnte man einen freien Fall ins kühle Wasser wagen. Angesichts der verbleibenden Tiefenmeter allerdings eine etwas abwegige Idee (außer für Alex, der an diesem Wochenende mal wieder eine ganz besondere Risikobereitschaft offenbart).
„Give me five boys, jetzt kommt Laubwaldsurfen vom feinsten.“ Ich grinse über beide Backen. Alex schaut mich freudig erregt an, wohl ahnend was sich da gleich vor unsere Stollen werfen wird. Nur wenige Sekunden später jauchzen und grölen wir als hätten wir eine ordentliche Dosis Speed geschluckt. Mit beachtlichem Vortrieb fegen wir mäanderförmig verlaufende Laubrinnen frei. Unsere Hinterräder driften fast wie von selbst in eine endlose Anzahl natürlicher Anlieger. Laubblätter zirkeln durch die Luft, dunkler Humus kommt zum Vorschein. Wir haben den würzigen Geruch von Herbst und Wald in unseren Nasen. Flow ohne Grenzen. Doch ehe uns der Lago zum zweiten Mal willkommen heißt, folgt quasi zum Dessert, ein wirklich kräfteraubendes Trail Massaker. Nochmals werden all unsere Skills und leider auch unsere allerletzten Körner abgerufen. Ich halte kurz an um durchzuatmen und um Jürgen zu entgegnen: „Es will wohl was heißen, wenn ich hoffe dass sich doch endlich Asphalt vor die Stollen werfen möge“. Endlich Ufer, endlich Asphalt. Wie in Trance kurbeln wir zur nächsten Bier-Schankstelle. Dieser Tag, diese Trails, diese Landschaft, dieser Spaß wollen erst mal mental verarbeitet werden. Shirt abgelegt, Sonnenbrille aufgesetzt.
Später, viel später und bei Einbruch der Dunkelheit rollen wir zu unserer Unterkunft in einem malerischen Tessiner Dorf. Als wir uns ins Bett legen sind wir schon voller Vorfreuden auf den nächsten Tag. Es warten weitere Gipfel, weitere Trails. Ab hier möchten aber unsere Bilder sprechen lassen.
Danke Jungs für ein unvergessliches Bike-Wochenende!
Fred
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